Traumatisierter Mann





Männer und Trauma

Informationen der Arbeitsgemeinschaft
MännerGesundheit Hamburg (2003–2019)


(Anonymisierte) Beispiele

Martin - ein Beispiel für Beziehungsgewalt

Martin lebt in einer Beziehung mit einer gleichaltrigen Frau, die er schon aus der Jugend kannte. Man hatte sich zwischenzeitlich aus den Augen verloren; im Alter von ca. 40 Jahren trafen sich beide wieder, verliebten sich ineinander und erlebten neues Glück.

Martin und Gerlind sind beide beruflich erfolgreich. Sie füllen ihren Beruf mehr als 100 % aus, sind beide überdurchschnittlich stark in ihrem Feld und unabhängig von der Partnerin/vom Partner finanziell abgesichert - er als Partner in einer Anwaltskanzlei, sie in ihrer Praxis als selbstständige Heilpraktikerin.
Sie bekommen eine Tochter; für Gerlind ein großer Wunsch, der bislang nicht in Erfüllung gegangen war. Martin hat nichts gegen seine Vaterschaft, für ihn wäre es aber auch ohne Kind gegangen.

Zunächst scheint alles aufzugehen. Gerlind geht in Mutterschutz und schließt nach der Geburt der Tochter Elternzeit an. Martin hilft im bescheidenen Umfang im Haushalt und bei der Versorgung des Nachwuchses. Die Hauptlast liegt allerdings bei seiner Frau; er ist beruflich sehr stark gefordert.
Als Gerlind nach der Elternzeit ihren Beruf wieder aufnimmt, wird es schwieriger. Sie erwartet mehr Beteiligung von Martin an den gemeinsamen Familienaufgaben. Er aber kann nicht einfach sein berufliches Engagement herunterschrauben.

Das Paar beschreitet einen langen Weg mit immer neuen Versuchen und vielen ausgehandelten Kompromissen, um zu einem gerechten, erträglichen Miteinander zu kommen. Die Liebe bleibt dabei mehr und mehr auf der Strecke. Am Ende erfährt Martin nur noch Abwertung und ständige Erhöhung eines Erwartungsdrucks, den er nicht erfüllen kann.

Was es auch ist, Martin macht in den Augen Gerlinds alles falsch. Er fühlt sich immer kleiner, ist plötzlich auch im Beruf nicht mehr so leistungsfähig, wie es vorher der Fall war. Er kann mit niemanden über seine Situation reden. Nicht nur seine Frau ist mit ihm unzufrieden, auch die beruflichen Partner haben wenig Verständnis für sein schlechtes Arbeiten.
Martin hat keine Kraft, seine Lage grundsätzlich zu verändern. Gerade wegen der Tochter, die er sehr liebt, meint er, an der Beziehung zu Gerlind festhalten zu müssen. Aber das Miteinander eskaliert.

Irgendwann gibt es einen Streit zwischen Martin und Gerlind, in dessen Verlauf sie mit einem nassen Geschirrhandtuch nach ihm schlägt. Im Affekt schlägt er zurück, ohne dass dies wirklich eine Gewalthandlung darstellt.
Gerlind handelt sofort und ruft die Polizei: „Mein Partner hat mich geschlagen!“ Die Beamten kommen in die Wohnung und nehmen den Fall auf. Martin ist unfähig sich zu verteidigen. Er zweifelt an sich selbst. Auch wenn er die Ungerechtigkeit spürt, mit der Gerlind ihn überzieht – er ist wie gelähmt und weiß nicht mehr, wie er aus dieser Situation entkommen kann.

Johannes - ein Beispiel für den Tod eines nahen Menschen

Johannes lernt mit 24 den gleichaltrigen Jens kennen, mit dem er eine Beziehung eingeht. Beide sind in der Ausbildung und mit Studium und Lehre beschäftigt. Sie ziehen zusammen und freuen sich an ihrer glücklichen Partnerschaft.

Nach und nach brechen Unterschiede auf, die zunächst überbrückbar erscheinen. Jens ist sehr viel reifer und umsichtiger und hilft Johannes, seine bescheidenen Lebenswünsche zu überprüfen. Er baut ihn regelrecht auf, so dass Johannes seinem Freund dankbar ist dafür, was er von ihm lernen kann.

Jedoch gibt es auch abweichende Ansichten in Bezug auf Sexualität und Partnerschaft. Jens wirft Johannes vor, zu konservativ zu sein. Tatsächlich möchte der lieber monogam leben und fühlt sich mit Jens eigentlich wohl. Der sucht allerdings sexuelle Abenteuer auch mit anderen Männern und fühlt sich durch Johannes in seinen Wünschen eingeschränkt. Johannes widerspricht seinem Freund in diesen Fragen, was dieser bisher so nicht gewohnt war.

Nach und nach leben Johannes und Jens beide nebeneinander ihr eigenes Leben. Johannes beendet erfolgreich sein Studium und arbeitet im sozialen Bereich. Jens bleibt psychisch auf der Strecke. Er hat Depressionen und entwickelt Lebensängste. Johannes versorgt ihn soweit es geht, aber die Übertragung des Regelwerks aus seinem Berufsfeld auf die Beziehungsebene zu seinem Freund verstärkt dessen Kranksein.
Es kommen Aggressionen ins Spiel, die Jens auch körperlich gegen Johannes richtet. Am Ende einer längeren Entwicklung, in deren Verlauf beide nicht merken, wie sie sich gegenseitig an den Rand des Abgrunds bringen, nimmt sich Jens in der gemeinsamen Wohnung das Leben. Johannes findet seinen Freund tot im gemeinsamen Bett.

Johannes durchlebt alle Phasen der Trauer: unzerstörbare Liebe zu Jens, dann wieder Wut und unbändigen Hass darauf, was der ihm angetan hat.
Johannes ist schnell. Er besucht mehrere Trauerseminare, kauft sich Bücher zur Trauerbewältigung, analysiert seine eigenen Träume, organisiert eine Gedenkfeier zu Jens’ einjährigem Todestag in der Wohnung, in der beide zusammen gelebt haben und Johannes jetzt noch lebt. Sein Aktivismus ist ungebremst.

Johannes denkt, er hätte alles im Griff. Dabei hat er längst die Realität aus den Augen verloren. Er sehnt sich nach einem neuen Freund und kann doch wirkliche Nähe zu anderen Männern überhaupt nicht zulassen.
Johannes meint, er hätte die Trauer um Jens abgeschlossen, doch dann holen ihn Bilder aus der Vergangenheit ein und lähmen ihn. Zwar denkt er, er hätte die Schuldfrage – Jens war psychisch krank, da hätte Johannes nichts tun können – geklärt, in Wahrheit aber erkennt er zunehmend, welche Anteile er selbst an der Krankheitsentwicklung seines Freundes und der gemeinsamen Beziehung gehabt hat. Nur: er steckt fest. Er vermag nicht von außen auf sich selbst zu schauen.

Lutz - ein Beispiel für einen Überfall mit Körperverletzung

Lutz, Anfang 20, ist auf dem Weg zur Arbeit; er macht eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann.

Eine junge Frau spricht ihn an, ob er nicht helfen könne, ihr Vater sei zusammengebrochen. Er will helfen und geht mit der jungen Frau mit. So gerät er in einen Hinterhalt, er wird von einem maskierten Mann mit einem Messer bedroht und mit Fäusten geschlagen, und von beiden mit Füßen getreten. Ihm werden Brieftasche, Handy und Aktentasche abgenommen. Immer wieder wird ihm das Messer an den Hals gehalten. Der Täter lässt ihn mit den Worten zurück, es sei besser für ihn, wenn er liegen bliebe.

Einige Zeit später – Lutz wusste nicht, wie viel Zeit vergangen ist – steht er auf und holt sich Hilfe. Er wird ins Krankenhaus gebracht und die Polizei nimmt seinen Fall auf.

In der Folge muss Lutz feststellen, dass er nicht schlafen kann und schreckhaft ist. Auf seine Arbeit und die Ausbildung kann er sich nicht mehr konzentrieren. Für ihn bricht eine Welt zusammen, er fragt sich, wie das nur geschehen konnte, er wollte doch nur helfen.

Als er den Überfall den Arbeitskollegen und Ausbildern erzählt, meinen sie nur, wieso er sich darauf eingelassen habe, er sei ja selber Schuld.

Weil in den nächsten Wochen seine Arbeitsleistung nachlässt, bekommt er mit einem der Ausbilder immer mehr Schwierigkeiten; dieser sagt aber nur, er solle sich nicht so anstellen. Obwohl auch die Berufsgenossenschaft wegen des Überfalls eingeschaltet ist und zu vermitteln versucht, beendet der Betrieb schließlich seine Ausbildung.

Nachdem Lutz einen neuen Ausbildungsplatz gefunden hat, zeigt sich, dass er die Folgen des Überfalls selbst nicht bewältigen kann.

Während die Eltern am Anfang noch großes Verständnis für Lutz’ Situation haben, verlieren sie mehr und mehr die Geduld.

Matthias - ein Beispiel für sexuellen Missbrauch in der Kindheit

Als Matthias 40 Jahre alt ist, sucht er erstmals einen Therapeuten auf. Er fühlt sich einsam und suizidgefährdet. Sein Leben ist bisher eher unstet verlaufen und er hatte nur wenige und sehr kurze Beziehungen zu Frauen. Davon sind auch sein Erleben von Männlichkeit und der eigenen Sexualität geprägt.

Aktuell befindet er sich nach einem gewalttätigen Angriff auf seine Vorgesetzte in rechtlichen Auseinandersetzungen mit seinem Arbeitgeber. Als Grund für sein Verhalten gibt Matthias an, dass seine Vorgesetzte ihm bei der Erteilung eines Arbeitsauftrages, temperamentvoll wie sie sei, am Oberarm berührt habe. Da er nach einer früheren Berührung ihr bereits gesagt hatte, dass er dies nicht ertragen kann, habe er sich dieses Mal nicht anders zu helfen gewusst, als mit Tischen und Stühlen zu randalieren.

Er selbst kann seinen Anteil an den Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung nicht sehen und startet zusätzlich noch weitere Aktionen gegen seine Vorgesetzte. Kolleginnen und Bekannte halten ihn in der Folge für einen Spinner.

Matthias ist als Einzelkind bei seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, war auch für kurze Zeit im Heim, ein Vater ist unbekannt. Im Laufe seiner Therapie wird deutlich, dass sein Verhalten mit einer Traumatisierung in seiner Kindheit zu tun hat. So berichtet er zunächst ausführlich, wie einsam und unsicher seine ihn nicht zur Selbständigkeit erziehende Mutter gewesen sei. Viel später spricht er unter großer Angst plötzlich von einem nahen Verwandten, bei dem er die kompletten Sommerferien verbracht hatte. Jeden Morgen nach dem Frühstück entfernten sich wie selbstverständlich seine Mutter und andere Verwandte und ließen ihn mit dem anderen Verwandten allein. Dieser nahm vollkommen wortlos anschließend stundenlang sexuelle Handlungen an ihm vor. Matthias beschreibt, dass er im Laufe der Zeit resignierend und gewohnheitsmäßig diese Behandlung über sich ergehen ließ, annahm, dies wäre von ihm von der Familie so erwartet worden, und sich trotzdem bis heute irgendwie selbst die Schuld dafür gab und gibt. Die Mutter habe ihn generell immer für schwul gehalten; sich selbst halte er einfach für aggressiv und krank.

Mit 40 Jahren spricht er also zum ersten Mal über das Geschehene Er beschreibt, dass mehrere besondere äußerliche Merkmale (Hauttönung, Haarfarbe, Dialekt) auch bei seiner letzten Vorgesetzten zu finden gewesen seien. Die Erinnerung daran beförderten sein Verhalten gegenüber anderen Menschen.

Jan – ein Beispiel für sexuelle Nötigung

Nach einer Ehe mit immer wieder aufkommenden schweren Auseinandersetzungen trennen sich Jan und seine Frau Karin einvernehmlich. Beide beschließen, im Interesse ihres sechsjährigen Sohnes weiter zusammenzuarbeiten. Der Junge bleibt bei Karin und ist regelmäßig alle 14 Tage bei seinem Vater. Anfangs klappt das in der Regel gut.

Karin kommt ab und zu in Jans neue, kleine Wohnung, bespricht ausführlich alle anstehenden Fragen und lobt vergangene positive Seiten der Beziehung sowie die Tatsache, dass beide ja doch irgendwie Freunde geblieben seien. Es habe ja auch ganz anders ausgehen können, nämlich im schrecklichen Streit über jede Kleinigkeit, so wie bei so vielen anderen. Bisweilen zieht sie sich im weiteren Verlauf kommentarlos aus und schiebt Jan ins Bett.

Jan wird das zunehmend unbehaglich, zumal er jetzt Birte kennengelernt hat und Gefühle für sie entwickelt. Als der Junge Karin gegenüber einmal Birte erwähnt hat, kann Jan seinen Sohn zwei Monate lang nicht sehen. Karin sagt, er sei krank, habe andere Termine, sei bei ihren Eltern. Als Jan Karin ein Anwaltsschreiben zukommen lässt, in dem auf sein Umgangsrecht mit dem Kind bestanden wird, kommt ein Brief von Karins Anwältin zurück, der Junge wolle seinen Vater überhaupt nicht sehen.

Jan trennt sich von Birte. Karin kommt wieder zu ihren Besuchen und drängt dabei immer wieder auch zu Sex. Sie betont, dass es doch im Interesse aller Beteiligten sei, also auch in seinem, dass alles wieder so freundschaftlich zugehe. Jan, der seinen Sohn jetzt wieder sehen darf, wagt sich nicht zu widersetzen. Jan ist inzwischen in psychologischer Beratung, in der er klar auf sein Recht hingewiesen wird, Sex zu verweigern: Sex unter Drohungen sei mindestens eine strafbare sexuelle Nötigung oder würde sogar den Tatbestand der Vergewaltigung erfüllen.

Jan spricht seine Bedenken gegenüber Karin nur wenig an. Er ist erleichtert über den jetzt funktionierenden Umgang mit seinem Kind und will daran nicht rühren. In den folgenden Wochen und Monaten entwickelt er ein gravierendes Potenzproblem, das trotz regelmäßiger Termine bei dem Psychologen auf keine Weise gebessert werden kann.

Jan lebt in einer anhaltend traumatisierenden Situation.





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